Du hälst inne. Mit 8 Jahren willst du
Dolmetscherin werden. Du weißt, dass du mit deiner Familie bald in
den Zug steigen und in ein fremdes, tolles Land fahren wirst. Auch
wenn du es dir gar nicht vorstellen kannst, wie es werden wird. Und
was ist mit all deinen Freunden? Und deiner Familie? Aber noch ist ja
Zeit. Du weißt genau, was du willst und gern hast. Du magst Milcheis
im Waffelbecher, Konfekt und Bratkartoffeln von Oma. Du bist in den
Nachbarsjungen verliebt. Und spielst liebend gern mit deinen
Barbie-Puppen. Du hasst es aber, länger als eine Woche auf dem Dorf
zu sein. Denn da wird es dir schnell langweilig, denn jeden Tag
angeln und Unkraut jähten ist einfach nicht deins. Dann vermisst du
deine Freundinnen. Und vor allem deine Mama. Auch wenn du weißt,
Zuhause gibt es nur Streit. Aber es ist dein Zuhause. Und du weißt,
wo du hingehörst.
Zeitsprung.
Du bist 25. Du lebst nach wie vor in
diesem tollen Land, in welches der Zug dich vor über 13 Jahren
gebracht hat. Es ist nicht mehr ein unbekanntes Land. Es ist dein
Zuhause. Du hast wundervolle Freunde. Von den Menschen, die dich
damals begleitet haben, hörst du nicht mehr oft was. Das Leben hat
euch voneinander entfernt, auch geografisch. Kaum noch jemand
erkennt, dass du woanders herkommst, wenn du sprichst. Erst bei
deinem Namen werden die Menschen manchmal stutzig und oft dann auch
ein bisschen verwirrt. Weil du so gut Deutsch sprichst. Das ist
irgendwie lieb und komisch zugleich. Das ist doch nichts Besonderes,
denkst du dir.
Du studierst und arbeitest. Manchmal
fragst du dich, ob das Zeit-Aufwand-Verhältnis gerade stimmt.
Nie hättest du gedacht, dass du einmal
so unsicher sein könntest. Was dich angeht. Was deine Pläne und
Wünsche angeht. Selbst deine jahrelang als feste Mauern geltenden
Ansichten und Vorstellungen vom Leben, fangen an zu bröckeln. Du
kannst es nicht aufhalten.
Irgendwas tut sich gerade. Es macht dir
Angst, aber du hoffst auch, dass es dir die Augen öffnet. Vielleicht
erkennst du dann bald, was dich tatsächlich ausmacht. Wer du bist.
Wo du hin willst. Und warum.
Solange klingelt der Wecker 2-3 Mal die
Woche um 5 Uhr. An anderen Tagen versuchst du dich zum Lernen zu
Überwinden, triffst dich mit Freunden, träumst von einem anderen
Leben und planst deine nächste Reise. Vielleicht wird es diese Reise
sein, die dich deiner Selbst einen Schritt näher bringt. Und solange
irrst du ein bisschen ziellos umher, in einem Leben, das strukturiert
und geplant und wundervoll nach außen scheint. Ein Leben, dass du
dir selbst genauso gewünscht und aufgebaut hast. Und merkst, dass es
nicht dein Leben ist.