Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.

Albert Schweitzer

Freitag, 21. Februar 2014

Blickwinkel

Du hälst inne. Mit 8 Jahren willst du Dolmetscherin werden. Du weißt, dass du mit deiner Familie bald in den Zug steigen und in ein fremdes, tolles Land fahren wirst. Auch wenn du es dir gar nicht vorstellen kannst, wie es werden wird. Und was ist mit all deinen Freunden? Und deiner Familie? Aber noch ist ja Zeit. Du weißt genau, was du willst und gern hast. Du magst Milcheis im Waffelbecher, Konfekt und Bratkartoffeln von Oma. Du bist in den Nachbarsjungen verliebt. Und spielst liebend gern mit deinen Barbie-Puppen. Du hasst es aber, länger als eine Woche auf dem Dorf zu sein. Denn da wird es dir schnell langweilig, denn jeden Tag angeln und Unkraut jähten ist einfach nicht deins. Dann vermisst du deine Freundinnen. Und vor allem deine Mama. Auch wenn du weißt, Zuhause gibt es nur Streit. Aber es ist dein Zuhause. Und du weißt, wo du hingehörst.

Zeitsprung.

Du bist 25. Du lebst nach wie vor in diesem tollen Land, in welches der Zug dich vor über 13 Jahren gebracht hat. Es ist nicht mehr ein unbekanntes Land. Es ist dein Zuhause. Du hast wundervolle Freunde. Von den Menschen, die dich damals begleitet haben, hörst du nicht mehr oft was. Das Leben hat euch voneinander entfernt, auch geografisch. Kaum noch jemand erkennt, dass du woanders herkommst, wenn du sprichst. Erst bei deinem Namen werden die Menschen manchmal stutzig und oft dann auch ein bisschen verwirrt. Weil du so gut Deutsch sprichst. Das ist irgendwie lieb und komisch zugleich. Das ist doch nichts Besonderes, denkst du dir.
Du studierst und arbeitest. Manchmal fragst du dich, ob das Zeit-Aufwand-Verhältnis gerade stimmt.
Nie hättest du gedacht, dass du einmal so unsicher sein könntest. Was dich angeht. Was deine Pläne und Wünsche angeht. Selbst deine jahrelang als feste Mauern geltenden Ansichten und Vorstellungen vom Leben, fangen an zu bröckeln. Du kannst es nicht aufhalten.
Irgendwas tut sich gerade. Es macht dir Angst, aber du hoffst auch, dass es dir die Augen öffnet. Vielleicht erkennst du dann bald, was dich tatsächlich ausmacht. Wer du bist. Wo du hin willst. Und warum.
Solange klingelt der Wecker 2-3 Mal die Woche um 5 Uhr. An anderen Tagen versuchst du dich zum Lernen zu Überwinden, triffst dich mit Freunden, träumst von einem anderen Leben und planst deine nächste Reise. Vielleicht wird es diese Reise sein, die dich deiner Selbst einen Schritt näher bringt. Und solange irrst du ein bisschen ziellos umher, in einem Leben, das strukturiert und geplant und wundervoll nach außen scheint. Ein Leben, dass du dir selbst genauso gewünscht und aufgebaut hast. Und merkst, dass es nicht dein Leben ist.

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